»Die Panikmacher« von Patrick Bahners hat nun doch jene Art Widerspruch von Broder und Sarrazin erfahren, dass ich fast versucht bin, es mir zuzulegen.
Denn Broder und Sarrazin reagieren dermaßen reflexhaft mit dem Vorwurf der Schuldumkehr – sprich: Verharmlosung des Islamismus durch Dämonisierung der Islamkritiker –, dass es sie wirklich getroffen haben muss. Der Vorwurf, dass jemand eine Sache in ihr Gegenteil verkehrt hat, ist ultimativ, weil er aufs Ganze geht, kann aber auch wohlfeil sein: Wenn man nämlich einen anderen Maßstab anlegt. Man erledigt sich der Auseinandersetzung mit der Sache selbst, sagt schlicht: Das Gegenteil stimmt!, kann das irgendwie auch belegen, hat aber in diesem Moment schon den anderen Maßstab eingeschmuggelt.
Das tun Sarrazin und Broder, und sie sind darin ziemlich groß – sonst wären sie nicht die Demagogen und Aggressivlinge, die sie nun mal sind.
Beispiel: Wenn Sarrazin aufstöhnt »Dank Patrick Bahners wissen wir endlich: Nicht Al Qaida ist eine Gefahr für den Weltfrieden, Necla Kelek ist es – und mit ihr alle, die ihre Befürchtungen teilen!«, dann weist er indirekt, aber überdeutlich daraufhin, dass Frau Kelek noch nie jemanden umgebracht hat und auch nicht danach trachtet, Massenvernichtungswaffen in ihren Besitz zu bringen – vor allem aber weist er darauf hin, dass schon der Hinweis selbst abwegig und ehrabschneiderisch ist, dass auch nur die Andeutung eines Rollentausches von Frau Kelek und Al Qaida, wie sagt Sarrazin?, »unanständig« ist. Das stimmt ganz sicher, Bahners weiß das, darauf will er auch gar nicht hinaus. Ihn in dieses Zwielicht zu rücken, Broder unternimmt ähnliche Anstrengungen, gelingt nur mit Hilfe eines anderen Maßstabs. Dazu später.
Der ganze Zank hängt an einem Wort. Zugegeben, es ist waghalsig, über einen einzigen Begriff zu spekulieren, aber er markiert eine Grenze. In seiner Attacke auf Bahners zitiert Broder, dass dieser Islamkritiker u.a. als »Hilfsverfassungsschützer« bezeichnet. Wer Hilfsverfassungsschützer sagt, der setzt voraus, dass es auch Profis gibt, die richtigen Verfassungsschützer, und er will signalisieren: Es gibt Leute, deren Job es ist, die Verfassung zu schützen, die können das, die sind ausgebildet, die haben Erfahrung, es ist nicht unsere Aufgabe (es kann sogar sehr gefährlich sein), sich in ihr Metier einzumischen. Das ist die Grenze: Natürlich weiß Bahners, dass es islamischen Terrorismus gibt, auch er wird von Zwangsheiraten, Ehrenmorden und antirepublikanischer Hetze in einigen Moscheen gehört haben. Dagegen vorzugehen, ist aber Aufgabe der Polizei und des Verfassungsschutzes. Es gibt Gesetze, und es gibt eine Staatsmacht, die entschlossen und in der Lage ist, diese anzuwenden und durchzusetzen. Als Feuilleton-Chef der FAZ verneigt sich Bahners demütig vor dem Staat – was auch sonst?!
Bekanntlich ist das deutsche Bürgertum eines der anspruchslosesten, es ist zahnlos und politisch ganz und gar unoriginell. Bahners macht da selbstverständlich keine Ausnahme. Diese Anspruchslosigkeit ist zum einen eine Art Selbstschutz – die letzte Diktatur in eigner Sache ist dem Bürgertum in Deutschland nicht gut bekommen –, zum anderen haben die Alliierten, zumal die westlichen, doch ein wenig nachgeholfen, dass sich die deutsche Bourgeoisie in ihr Paria-Schicksal fügt (Westbindung, importierte Kulturindustrie, massive Präsenz fremder Truppen etc.pp.). Vor allem aber ist die Anspruchslosigkeit Ausdruck eines allgemeinen Zugs des Kapitalismus. Dieser ist schließlich die größte Enteignungsmaschinerie der bisherigen Menschheitsgeschichte, sein Expropriationsfuror macht auch nicht vor heroischen Unternehmern und unabhängigen Intellektuellen halt und würdigt sie zu bloß gehobenen Funktionsträgern des Akkumulationsprozesses herab.
Das kennt Bahners aus eigener Anschauung, weswegen er seine Aufgabe nolens volens darin sieht, zumindest die Grenze, die die Grenze seiner Einflussmöglichkeit ist, exakt zu definieren. Dort drüben die Verfassungsschützer, die fürs Grobe zuständig sind und die dafür nicht die guten Vorschläge eines Bahners’ (oder eines Broders oder einer Kelek) brauchen; hier die aufgeklärten oder besser – im Sinne des Verwaltungsfachmanns Niklas Luhmann: abgeklärten Bürger, die die vornehme Aufgabe haben, die Zivilgesellschaft zu gestalten und sich dabei gegen die Zumutungen des Staates verwahren. Ist die Welt des Staates eine, in der Repression, eiserne Regeln und kühle Verwaltung herrschen, so ist das Reich der Zivilgesellschaft der Ort, in dem Toleranz geübt wird — das freie, leichte, ironische Miteinander — , in dem man Widersprüche aushält und, nun ja, schon mal »das Fremde« zulässt.
Bahners ist jener mustergültige Liberale, der das System von Repräsentation und Delegierung verinnerlicht hat. Deshalb ist es absolut korrekt, wenn er Kelek vorwirft: »Indem sie aussprach, dass sie in der islamischen Welt nicht einmal auf Verbündete im Geiste zu hoffen wagte, hatte sie die Frontlinie eines Weltbürgerkrieges gezogen.«, und ihr Bescheid gibt »Die Auffassung, dass der Staat das Höchste ist und es für den Frommen nie eine Gewissenspflicht zum Widerstand geben kann, haben in Deutschland zuletzt die Deutschen Christen vertreten.«
Der Punkt – so viel zu den unterschiedlichen Maßstäben – ist nicht, dass Necla Kelek etwa mordlustig und ein Pamphlet von ihr so brisant wie eine Schläferzelle im Südsauerland wäre. Auf der Ebene der reinen Tat, der schieren kriminellen Handlung Kelek mit Al Qaida zu vergleichen – das ist absurd; auf diese Absurdität aber wollen Broder und Sarrazin hinaus, um Bahners daran zu blamieren.
Indem nun Kelek – und Broder und Sarrazin und Giordano und … wie der Verfassungsschutz auftreten, nicht die Zivilgesellschaft hinnehmen, wie sie ist (um in ihr zu wirken), sondern ihre staatliche Rahmung betonen und darauf drängen, dass stählerne Band des Gewaltmonopols noch enger, noch rigider zu ziehen, zersetzen sie diese, vergiften das Klima, durchlöchern eine Systemgrenze und lassen es so zu – begrüßen es! –, dass staatliche Gewalt endemisch wird: Ein Selbstmordattentäter reißt zwanzig Menschen mit in den Tod; eine entfesselte staatliche Gewaltmaschine, die durch die Zivilgesellschaft pflügt, richtet ungleich größeres Leid an. Es sind Intellektuelle vom Schlage einer Kelek oder eines Broders, die die Entfesselung herbei schreiben wollen. »Die Idee, man könnte dem Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, übersteigt die Grenze zum Irrealen. Es ist, als ob man die Feuerwehr auffordern würde, sich bei ihren Einsätzen an die Straßenverkehrsordnung zu halten.« (Henry M. Broder, »Hurra, wir kapitulieren!«, S. 124)
Kein Zweifel, hier wird die »Frontlinie eines Weltbürgerkrieges gezogen«.
Broder & Co. sind Apologeten des Ausnahmezustandes, eben: Hilfsverfassungsschützer. Sie reden einer Versubjektivierung der Staatsgewalt das Wort (die sich in Denunziationswut und einer Kampagnenlust gegen Missliebige wie Bahners oder etwa, schon vergessen?, Wolfgang Benz ausdrückt) und treten in ihrer selbstherrlichen Arroganz auf wie Mini-Staaten. Es gab Zeiten, da wurde das faschistisch genannt.
Aber nicht doch! Ist doch »Faschismus« jenes Label, was nicht nur die damit Bedachten in die schmuddeligste Schmuddelecke schickt, sondern auch alle anderen nobilitiert und sie einer kritischen Auseinandersetzung mit dem »Faschismus« enthebt. Denn jenseits der Faschisten gibt es keine Nicht-Faschisten, sondern nur Antifaschisten. Der Faschismus-Vorwurf wäre passend, wenn er nicht so effekthascherisch wäre.
Wie so oft reicht der Rückgriff auf Marx. In seinen Analysen des Scheiterns der 1848er Revolution leitete er die unheimliche bonapartistische Restauration in Frankreich aus der demokratischen Verfassung selber ab. Ihn interessierten in jenem System der Repräsentation und der Delegierung vor allem die Momente, die dieses System außer Kraft setzen: die entsprechenden Ausnahmeparagrafen, die dann, wenn die Ordnung selbst in Gefahr ist, wenn Privateigentum und Konkurrenzwirtschaft bedroht sind, zur Anwendung kommen. Die Aufhebung der Demokratie als Sicherung ihres Fortbestandes.
Die Grenze zwischen Zivilgesellschaft und staatlicher Gewaltsphäre ist längst nicht so eindeutig gezogen, wie der Liberale Bahners sich das vielleicht erträumt. Umgekehrt stehen Sarrazin oder Broder nicht für einen Bruch mit der Zivilgesellschaft, auch nicht für die Selbstaufgabe des angeblich auf Toleranz und Ausgleich drängenden Bürgertums. Sie sind dessen Avantgarde.
Sie schreiben es nicht, aber sie meinen es: Wir machen die Drecksarbeit, damit der Bahners weiterhin den Schöngeist geben kann – was mischt der sich in unsere Belange ein?!